Was ist unter gleichberechtigte Teilnahme an der Hauptverhandlung zu verstehen?

Gleichberechtigte Teilnahme an der Hauptverhandlung

Im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) sind die Organisation und die wesentlichen Maximen der ordentlichen Gerichtsbarkeit geregelt. Dessen §§ 30 und 77 bestimmen den Umfang des Schöffenamtes.



§ 30 Abs. 1: Insoweit das Gesetz nicht Ausnahmen bestimmt, üben die Schöffen während der Hauptverhandlung das Richteramt in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht wie die Richter beim Amtsgericht aus und nehmen auch an den im Laufe einer Hauptverhandlung zu erlassenden Entscheidungen teil, die in keiner Beziehung zu der Urteilsfällung stehen und die auch ohne mündliche Verhandlung erlassen werden können.
§ 77 Abs. 1: Für die Schöffen der Strafkammern gelten entsprechend die Vorschriften über die Schöffen des Schöffengerichts …


Die Regelung hat, auf einen kurzen Nenner gebracht, drei Elemente:

a) Die Schöffen nehmen an der Hauptverhandlung mit den gleichen Rechten und Pflichten teil wie die Berufsrichter. Schöffen sind Richter wie die Berufsrichter auch.

b) Wenn die Schöffen ausnahmsweise an einer Entscheidung oder Maßnahme nicht teilnehmen (weil sie etwa dem Vorsitzenden oder den Berufsrichtern vorbehalten ist), muss dies im Gesetz ausdrücklich vorgeschrieben sein.

Beispiele: Nach § 241 a Abs. 1 StPO werden Zeugen unter 16 Jahren allein vom Vorsitzenden vernommen; nach § 31 Abs. 2 StPO entscheidet über die Besorgnis der Befangenheit eines Schöffen beim Amtsgericht allein der Vorsitzende, beim Landgericht die berufsrichterlichen Mitglieder der Kammer.

c) Die Schöffen nehmen nicht nur an der Entscheidung über das Urteil (also über Schuld und Strafe) teil, sondern auch an allen anderen Entscheidungen, die im Laufe einer Hauptverhandlung zu treffen sind, auch wenn sie mit dem Urteil nicht im Zusammenhang stehen, also z.B. über

- die Zulässigkeit von Fragen,

- einen in der Hauptverhandlung zu erlassenden Haftbefehl,

- eine Ordnungsstrafe gegen einen am Verfahren Beteiligten, z.B. einen renitenten Zeugen,

- die Einstellung des Verfahrens,

- die Notwendigkeit, weitere Beweise zu erheben.



Aus der gleichberechtigten Teilnahme an dem Strafverfahren folgt als Kehrseite der Medaille, dass die Schöffen die gleiche Verantwortung für die Entscheidungen tragen wie die Berufsrichter. Ein Schöffe kann sich der Verantwortung nicht dadurch entziehen, dass er seine Entscheidung nach der Meinung des Vorsitzenden ausrichtet, weil dieser „das ja studiert hat“. Die Überzeugung, ob ein Zeuge die Wahrheit sagt, ob dem Angeklagten das Bedauern über die Tat zu glauben ist, ob der Sachverständige nachvollziehbar sein Gutachten über die Verantwortlichkeit des Angeklagten erstattet hat, muss der Schöffe selbstständig bilden und vor sich verantworten. Er muss den Prozessstoff so verstehen, dass er alleine entscheiden kann, ob dem Angeklagten die Tat in der Beweisaufnahme nachgewiesen wurde und welche Umstände im Falle der Verurteilung für eine milde oder strenge Bestrafung sprechen. Er muss als Jugendschöffe die Entscheidung darüber treffen, ob der heranwachsende Angeklagte als Jugendlicher oder als Erwachsener zu beurteilen ist. Ihm wird abverlangt, sich eine Meinung darüber zu bilden, ob der Angeklagte auf Grund einer seelischen Erkrankung oder wegen einer auf Alkoholgenuss beruhenden Bewusstseinsstörung schuldunfähig bzw. nur eingeschränkt schuldfähig ist oder ob er schuldfähig und damit für seine Handlungen voll verantwortlich ist.